Die fliegenden Jungen von Gaza
Deutschland | 2013 | Dokumentarfilm | 45 min
Federnd gleiten sie zerschossene Wände hoch, balancieren auf bombardierten Dächern, schlagen Salti und Pirouetten in der Luft, hüpfen von Mauer zu Mauer, rennen weiter, immer weiter bis zum Strand und zu den Dünen der Wüste. Sie sind die fliegenden Jungen vom Gaza-Streifen, die durch Akrobatik und Free Running aus ihrem eingesperrten Alltag ausbrechen.
„Parkour“ heißt ihre Leidenschaft: die Kunst, von Körper und Umwelt gesetzte Grenzen zu überwinden. Immer neue Hindernisse spornen sie zu immer gewagteren Sprüngen an. Doch im Gaza-Streifen ist Parkour auch eine Zurückeroberung des politisch abgeriegelten und religiös besetzten Lebensraums, in dem die Sittenwächter der Hamas moderne Kunst, Tanz und westliche Musik verbieten. Auch Parkour beäugen die fundamentalistischen Islamisten argwöhnisch als Mode des dekadenten Westens. „Doch wir fliegen über Belagerung und Bevormundung hinweg“, sagen die elf Jungen. Parkour ist ihre Art, sich aufzulehnen und allen, die ihr Leben eingrenzen wollen, zu trotzen. „Parkour gibt unserem Leben einen Sinn“, sagen sie, „Parkour macht uns stolz, stärker, selbstbewußt“. Und es gibt ihnen die Kraft, zu träumen, neue Pläne zu wagen und sich in eine andere Welt zu katapultieren – hoch hinaus über ihrem klaustrophobischen Alltag in einem winzigen, überbevölkerten Land, mit einem Hafen, in dem keine Schiffe mehr anlegen, und einem Flughafen, in dem keine Flugzeuge mehr landen; ein Land im Koma, aus dem kaum jemand mehr heraus und in das fast nichts mehr hinein kommt.
Der Film begleitet die Jungen vom „Gaza Parkour“ in ihrem Alltag im armen, traditionellen Süden des Gaza-Streifens. Sie erzählen über ihre Gefühle, Zweifel, Spannungen und Konflikte mit der Tradition, aber auch über ihre Zukunftsträume, Sehnsüchte und Glücksmomente. Beinahe hätte sich die Gruppe aufgelöst, als die beiden Gründer vor wenigen Wochen von einer Reise zu einem italienischen Parkour-Wettbewerb nicht mehr zurückkamen. Doch mittlerweile haben sich die elf Jungen wiedergefunden. Mit neuer Motivation trainieren sie täglich auf den Grabplatten und zerschossenen Mauern des Friedhofs ihrer Stadt Khan Younis, damit sie endlich in Gaza Stadt auftreten können – nur 30 Kilometer entfernt, und doch für sie so weit wie Europa.
Regie: Carmen Butta
Buch: Carmen Butta
Kamera: John Toft
Schnitt: Michelle Barbin
Ton: Mohamed Al Sosi, Munes Abu Nahel
Redaktion: Linde Dehner
Produktion: Gunter Hanfgarn
Sender: ZDF/ARTE
Nomination, Human Rights Film Prize, 2014
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