Stolperstein
Deutschland | 2007 | Dokumentarfilm | 73 min | Digibeta 16:9
Stolpersteine sind kleine Messingplatten, plan eingebettet in den Bürgersteig vor dem letzten Wohnsitz von Nazi-Opfern. „Hier wohnte” steht darauf, dann folgen ein Name, der Zeitpunkt der Deportation und der Ort der Ermordung. Es gibt mittlerweile über 6.000 dieser Steine, verteilt in ganz Deutschland und bald auch Europa (Stand zum Zeitpunkt vom Dreh). Jeder davon setzt ein Zeichen für ein Einzelschicksal und lässt die Menschen heute, auf ihren alltäglichen Wegen, über diese Vergangenheit stolpern. Stolpersteine sind ein Reibungspunkt, sie polarisieren und haben eine heftige Kontroverse in der Öffentlichkeit ausgelöst. In Städten wie München, Mainz, Krefeld oder Wien werden sie (und sind teilweise immernoch) verboten, während der Bürgermeister von Hamburg oder der damalige Bundespräsident Köhler sich persönlich dafür einsetzen. Stolpersteine werden von Unbekannten beschädigt oder herausgerissen, wie in Halle, und von Neo-Nazis offen bekämpft. Während der Zentralrat der Juden das Projekt offiziell unterstützt, wollen verschiedene jüdische Gemeinden verhindern, dass die Namen der Opfer mit Füßen getreten werden.
Stolpersteine sind jedoch ein dezentrales Denkmal, das Größte der Welt, welches längst eine Eigendynamik entfaltet hat, weil es vom Engagement einzelner Bürger lebt. Jeder Stein wurde durch eine private Spende mitfinanziert. Hunderte von ehrenamtlichen Helfern recherchieren vor Ort die genauen Daten der Schicksale und sorgen für die nötigen Genehmigungen. Die meisten machen das für Opfer, die sie nie kannten und mit denen sie nicht verwandt sind. Stolpersteine sind zudem das Werk eines Aktionskünstlers, der zumindest anfangs jeden einzelnen davon mit seinen eigenen Händen fertigte, zu seinem Bestimmungsort brachte und dort persönlich verlegte. Gunter Demnig will den namenlosen Opfern ihre Identität zurückgeben und hat damit eine Lawine ausgelöst, die ihn nun zu begraben droht. Denn täglich wollen mehr Menschen an diesem Projekt teilnehmen, die Wartelisten reichen bis ins Jahr 2007, und mit Frankreich, Österreich, Dänemark und Tschechien expandieren die Stolpersteine nun auch nach Europa. Der Erwartungsdruck an Demnig wird immer höher.
Stolpersteine stehen im Zentrum des Filmes als glänzende Projektionsflächen, anhand derer heute und ganz greifbar der Umgang mit unserer Geschichte verhandelt wird. Sie werden uns zu Menschen führen, für die das Projekt eine besondere Bedeutung hat. Zum Beispiel Peter Jordan, der wie die meisten Angehörigen darin einen Grabsteinersatz für seine ermordeten Eltern sieht – aber mit der Stadt München um seine Stolpersteine kämpfen muss. Oder Ute Latendorf, die mit ihren Freundinnen regelmäßig hunderte von Stolpersteinen in ganz Hamburg poliert – aus einem sehr persönlichen Grund: Ihre Väter waren Mitglieder der SS. Weil Stolpersteine eine demokratische Form der Erinnerungsarbeit sind, die von keiner Regierung in Auftrag gegeben wurde, werden wir durch sie bewegende persönliche Geschichten kennen lernen und eine hitzige, gesellschaftliche Kontroverse miterleben, die sich täglich weiter in Europa ausbreitet.
Regie: Dörte Franke
Buch: Dörte Franke
Kamera: Börres Weiffenbach
Schnitt: Jana Teuchert
Ton: Mario Köhler u.a.
Redaktion: Ulrike Dotzer, Christiane Hinz, Franz Grabner
Produktionsleitung: Andrea Ufer
Produktion: Andrea Ufer
Koproduktion: Troika Entertainment, Köln
Sender: WDR, NDR/arte, ORF
Förderer: Nordmedia
Offizielle Auswahl, Locarno Filmfestival (Schweiz), 2008
„Dokubiber“ für besten Dokumentarfilm, Filmfest Biberach, 2008
Diploma, International Human Rights Documentary Festival, Kiev (Ukraine), 2008
DOK Leipzig, 2008
Osnabrück, 2008
JFF Amsterdam (Niederlande), 2008
JFF London (UK), 2008
Rom (Italien), 2008
JFF New York (USA), 2009
World Jewish Film Festival Ashkelon (Israel), 2009
JFF Washington (USA), 2009
Pioneer Valley JFF Massachusetts (USA), 2010
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